Sizilianisches
Frühstück im Hafenbecken
Gangster
Mit Glück und Taktik zum Boss der Chicagoer
Unterwelt
Ich gebe zum,
anfangs habe ich mich ein wenig gesträubt, die Rezension von
"Gangster" aus dem Hause AMIGO zu übernehmen. Geht man davon aus,
dass ein Rezensent für seine Kritik zumindest eine gewisse grundlegende
Affinität zu einem Spiel aufweisen sollte, damit es überhaupt ausprobiert wird
und es somit erst einmal etwas gibt, über das er berichten kann, standen die
Chancen zu Beginn denkbar schlecht für Gimmlers "Gangster" und mich.
Ehrlich gesagt fand ich allein schon die an anderen Stellen viel gelobte
grafische Gestaltung von Robert Nippoldt nur wenig ansprechend, unfertig und
kalt. Atmosphäre wollte da gar keine aufkommen. Letztlich aber zeichnete sich
dann beim Lesen der Anleitung ab, dass zumindest die Mechanismen durchaus
clever gewählt zu sein scheinen, weshalb das Spiel dann doch mehrfach in
unterschiedlichsten Besetzungen auf dem Tisch landete und dem geneigten Leser
nun ermöglicht, die dort gewonnenen Eindrücke in den folgenden Zeilen
nachzuvollziehen.
Kurz und knapp
Acht Seiten lang ist die
klar strukturierte Anleitung, abzüglich Deckblatt, Einleitung und Vorbereitung
nimmt die eigentliche Erklärung des Ablaufs jedoch lediglich vier Seiten ein,
das ist auch für Familien problemlos zu schaffen, zumal ein Spielzug schnell
verinnerlicht ist. Grundsätzlich versuchen die zwei bis fünf Teilnehmer, als
Gangsterbosse mit ihren (Holz-) Karossen durch das Chicago der 30er Jahre zu
fahren und in verschiedenen Bezirken eigene Gangster in Form kleiner Holzwürfel
abzuliefern oder gegnerische Würfel einzuladen und so von ihren Plätzen im
jeweiligen Bezirk zu verdrängen. Wer bei den insgesamt drei Wertungen, die es
im Laufe des Spiels gibt, und die hier dem Thema angemessen "Tag der
Abrechnung" genannt werden, die meisten Gangster in den einzelnen Bezirken
hat, erhält eine variable Zahl an Einflusspunkten, die letztendlich für den
Sieg ausschlaggebend sind. Hier wird bereits ein interessanter Aspekt des
Spieles erkennbar, denn nicht immer erhält der Spieler mit der Mehrheit in
einem Bezirk die meisten Punkte, manchmal ist es lukrativer, zweiter oder sogar
dritter zu sein. Eine Feinheit, die offenbar taktisches Gespür verlangt, das
mit lediglich zwei den Spielern zur Verfügung stehenden Aktionen in die Tat
umgesetzt werden soll.
Neben einem
Gangster-Tableau, das ein Auto und den Gangsterboss zeigt, den man
repräsentiert, hat jeder Spieler außerdem drei Bewegungskarten mit den Werten
1, 2 und 3 vor sich liegen. Ein Einflussmarker in der eigenen Farbe auf der den
Spielplan umlaufenden Einflussleiste zeigt zudem jeweils den aktuellen
Punktestand an. Nachdem zur Startaustellung in jeden Bezirk eine zufällig
bestimmte Punktetafel gelegt wurde, die jeweils angibt, für welche
Mehrheitsverhältnisse man dort wie viele Punkte erhält, setzt jeder (ebenfalls
zufallsbestimmt) sein Auto sowie zwei eigene Gangster auf den Plan. Eigentlich
ziemlich clever, ist doch durch die variablen Punktetafeln die Ausgangslage für
jedes Spiel anders, was eine Strategie, die man schon einmal erfolgreich
verfolgt haben mag, nicht automatisch allgemeingültig werden lässt. Das jedoch
setzt voraus, dass „Gangster“ tatsächlich strategisch zu spielen wäre. Mal
sehen: Wer an der Reihe ist, darf entweder mit seinem Auto so viele Bezirke
weiterfahren, wie die Bewegungskarte angibt, die der Spieler dazu ausspielt.
Ausgespielte Karten werden umgedreht und stehen erst wieder zur Verfügung, wenn
die letzte Bewegungskarte zur Verwendung gekommen ist. Ein hinreichend
bekanntes Spielelement, das zuletzt in wesentlich interessanterer Form bei
"Portobello Market" zur Anwendung kam, indem diese Aktionsplättchen
gleichzeitig eine Wertung auslösen konnten. Bei „Gangster“ schränken sie
lediglich die Zugweite ein und sorgen dafür, dass nach dem Ausspielen der
dritten Karte auf einen der Bezirke eine so genannte Dopplermarke gelegt wird,
die den Wert der in einem Bezirk zu holenden Punkte verdoppelt. Wo solch eine
Marke platziert wird, bestimmt wieder der Zufall.
Alternativ kann ein
Spieler auch stehen bleiben und statt seiner Bewegung an seinem aktuellen
Standort entweder einen eigenen oder einen fremden Gangster ein- oder ausladen.
Das bedeutet, er legt zum Ausladen eines seiner Holzklötzchen von der
Autoabbildung auf seinem Gangster-Tableau in dem entsprechenden Bezirk auf dem
Spielplan ab oder legt zum Einladen von dort einen Würfel in sein Auto. Während
eigene Gangster sich in beliebiger Anzahl auf den Rücksitz quetschen dürfen,
kann lediglich ein einziger gegnerischer Gangster im Kofferraum untergebracht
werden. Da wird der Platz schnell eng. Zum Glück gibt es auf dem Spielplan
neben den Bezirken auch noch den Hafen der "Gold Coast", in dessen
Becken lästige Kofferrauminsassen entsorgt werden können. Dieser Vorgang wird
in der Anleitung euphemistisch (und vielleicht auch etwas ironisch/sarkastisch)
als "Sizilianisches Frühstück" bezeichnet.
Sonderausrüstung zum Frühstück
Im Hafen liegen immer drei Plättchen mit den Abbildungen von Sonderausrüstungen
aus, von denen man eines nehmen und auf ein entsprechendes Feld auf seinem
Gangster-Tableau legen muss, wenn man soeben einen gegnerischen Würfel zu
Wasser gelassen hat, um Platz im Kofferraum zu schaffen. Jedes Auto darf bis zu
zwei Sonderausrüstungen transportieren, die alle für den Besitzer positive
Auswirkungen besitzen. So darf man beispielsweise zwei statt nur einem Gangster
ein- oder ausladen, ein gegnerisches Auto in einen anderen Bezirk verschieben
oder seinen Kofferraum vergrößern, sodass dort bis zu zwei Gangster gleichzeitig
untergebracht werden können.
Sobald acht der
eingangs erwähnten Dopplermarken in den Bezirken verteilt wurden (zwei der zehn
Bezirke bleiben immer ohne Marke), endet ein Durchgang mit dem „Tag der
Abrechnung“, in dem alle zehn Bezirke nacheinander gewertet werden. Bevor aber
endlich die heiß begehrten Einflusspunkte verteilt werden, schlägt erneut der
Zufall zu, denn einige der Punktekarten in den Bezirken zeigen nicht nur
Zahlen, die den dort vertretenen Spielern als Einflusspunkte gutgeschrieben
werden, sondern Fragezeichen. Eine Casinokarte wird aufgedeckt, deren Wert (von
1 bis 6) nun in dieser Abrechnung für alle Fragezeichen gilt. Die Wertung an
sich ist unkompliziert, wer die meisten Gangster in einem Bezirk besitzt,
erhält die ganz links auf der Punktekarte angegebene Zahl als Einflusspunkte,
für den Spieler mit den zweitmeisten Gangstern gilt die Zahl rechts daneben
usw. Eine in dem Bezirk liegende Dopplermarke verdoppelt die erreichbaren
Einflusspunkte. Vor der nächsten Runde werden alle Dopplermarken vom Spielplan
entfernt und jeder Spieler erhält sechs neue Gangster, für die letzte
Spielrunde dann immerhin noch fünf neue. Nach der dritten Wertung endet das
Spiel und wer den meisten Einfluss erringen konnte gewinnt natürlich. So weit, so
gut. Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail.
Es funktioniert
Die Mechanismen, die
“Gangster“
funktioniert im Übrigen zu dritt nicht optimal. Obwohl bereits einer der zehn
Bezirke gar nicht erst im Spiel ist, kommt man sich nicht genügend in die
Quere, um wirkliche Spannung zu erzeugen und Kämpfe um die idealen Positionen
in der Stadt auszufechten. Erst mit mindestens vier Spielern wird es dann doch
etwas interessanter. Den meisten Spaß macht das Spiel in voller Besetzung, die
ebenfalls enthaltene Zweier-Variante, bei der wie so oft jeder Spieler zwei
Farben übernehmen muss, wirkt leider konstruiert, obwohl sie durchaus
funktioniert.
So wenig positiv
diese Besprechung bislang auch klingt, letzten Endes macht das Spiel aber dann
doch irgendwie Spaß. Vielleicht, weil es im echten Bandenkrieg im Chicago der
30er Jahre auch nicht immer fair zuging und man ebenfalls ein wenig Glück zum
Überleben brauchte und diese Problematik gut umgesetzt wurde. Vielleicht aber
auch, weil das subjektive Spielempfinden nicht immer einfach die Summe der in
der Regel beschriebenen Spielmechaniken darstellt. Modifiziert man „Gangster“
dann noch mit ein paar Hausregeln, indem z.B. der Wert der Fragezeichen früher
bestimmt wird oder weniger Bezirke Dopplermarken erhalten, hält sich der
Frustfaktor in Grenzen und taktische Überlegungen gewinnen mehr Gewicht.
Auch die Idee, die
nahende Wertung davon abhängig zu machen, wie oft man sein Auto bewegt (und
dadurch Dopplermarken ins Spiel bringt), ist grundsätzlich reizvoll, lässt die
Spieler den Zeitpunkt der Wertung aber dennoch in geringerem Maße beeinflussen,
als es auf den ersten Blick erscheint. Denn wenn ich nicht nur in einem
einzigen Bezirk mein Unwesen treiben möchte - und das ist in der Regel der
Fall, wenn man eine Chance auf den Sieg haben möchte - muss ich zwangsläufig
das Auto nutzen und kann den "Tag der Abrechnung" nur sehr begrenzt
hinauszögern. Macht nichts, die Gangster im echten Chicago konnten sich den Tag
der Abrechnung in den meisten Fällen ja ebenso wenig aussuchen.
Fazit
Alles in allem präsentiert AMIGO mit „Gangster“ ein opulent ausgestattetes,
recht einfaches, klassisches Mehrheitenspiel mit wenigen neuen Spielelementen
und viel zu viel Glücksabhängigkeit. Ein paar Variablen weniger hätten dem
Spiel gut getan und unter Umständen ein richtig nettes, taktisches
Spielerlebnis schaffen können. In der vorliegenden Form jedoch kann Gangster,
je nachdem, wem das Glück gerade hold ist, entweder begeistern oder frustrieren.
Wem es nichts ausmacht, sich ab und zu gespielt zu fühlen, wird zwar seinen
Spaß haben, das taktische Spielerlebnis, das Aufmachung und Anleitung
vermitteln, ist „Gangster“ aber definitiv nicht. Eigentlich schade, denn jetzt,
wo ich mich so lange mit dem Spiel beschäftigt habe, finde ich sogar die Grafik
plötzlich richtig schick und ansprechend.
Spieler : 2-5
Alter : ab 10 Jahren
Dauer : ca. 90 min
Autor :
Grafik : Robert Nippoldt
Vertrieb : Berg Toy
Preis : ca. € 28,00
Verlag : Amigo 2007
www.amigo-spiele.de
Genre :
Taktisches glücksabhängiges
Mehrheitenspiel
Zielgruppe : Familie, Freunde
Mechanismen : Mehrheiten für Einflusspunkte erringen
Strategie : **
Taktik : ****
Glück : *****
Interaktion : ****
Kommunikation : ****
Atmosphäre : ****
Kommentar :
Hochwertiges,
stimmiges Material
Verständliche Regeln
Spielablauf zu gleichförmig und wenig innovativ
Zu hoher Glücksanteil kann Planung und Taktik zunichte machen
Stefan Olschewski:
Das eigentlich recht taktische Grundgerüst wird durch die (zu) vielen
glücksabhängigen Unwägbarkeiten bei der Wertung in Einzelfällen ad absurdum
geführt. Das Spiel funktioniert zwar einwandfrei, bietet aber leider wenig
Neues.
stefan@stefanmagie.tobit.net