LOUIS XIV – „L’État c’est moi“

 

Ränkespiele am Hofe des Sonnenkönigs

 

Der Einleitungstext dieses in vielen Belangen neuen Alea-Spiels „Louis XIV“ macht durch ungewöhnliches Vokabular wie den stark geschichtlich geprägten Hintergrund der namhaften Figuren Gusto auf ein Eintauchen in das Frankreich des 18. Jahrhunderts. Sie sollen Mätressen verführen, Minister bestechen, Generäle kaufen und die Rollen von gewitzten Günstlingen übernehmen. Der Hofstaat von Versailles umspannt eine historische Epoche von Glanz und Glorie, wenn auch nicht alle hier dargestellten Personen – historisch korrekt – gleichzeitig die Weltbühne betraten. Louis XIV, der Sonnenkönig, Anne d’Autriche, dessen Mutter, Jules Mazarin, Erbe Kardinal Richelieus, Le Grand Dauphin, der spätere König Louis XV, Le Grand Condé, Feldherr im Dreißigjährigen Krieg, Jean-Baptiste Colbert, der Begründer des Merkantilismus, Françoise-Athénaïs de Montespan, Geliebte des Königs, Mutter von acht Kindern, Henri de Turenne, Feldherr und einige mehr bevölkern dieses elegant umgesetzte Miniuniversum.

Ganz einfach ist der Zugang bei „Louis XIV“ nicht, und ohne entsprechende Vorbereitung im Verteilen der Spielutensilien wie beim Studium des exzellent präsentierten Regelheftes, lässt sich im buchstäblichen Sinn „kein Staat“ machen. Zunächst werden die zwölf quadratischen Personentafeln in einem ungewohnten Spiralmuster ausgelegt, sodass in einer Art Schachbrettanordnung ausreichend Felder für die verschiedensten Chips und Steine frei bleiben. Sechseckige Missions-Chips (Krone, Schriftrolle, Ring, Zepter und Helm), Einflusssteine der einzelnen Spielerin (in den Farben rot, grün, gelb und blau), zwölf verdeckte Intrigenkarten (braune Rückseiten), 30 verdeckte Einflusskarten (grüne Rückseiten) sowie vierzig Missionskarten (blaue Rückseiten mit drei unterschiedlichen Tönungen) werden auf die vorgegebenen Plätze gelegt. Außerdem stehen sechzig verdeckte Wappen (sechs unterschiedliche Symbole), 32 Geldmünzen (Louisdor) und die Figur Louis XIV zur späteren Verwendung bereit. Zuletzt bekommt jede Spielerin sechzehn Einflusssteine einer Farbe, von denen allerdings je nach Spielerzahl vorweg einige auf die freien Felder des Spiralmusters platziert werden, dazu fünf Louisdor sowie eine hell- und eine mittelblaue Missionskarte. Das „Versailler Schloss“ dient als Startspielerkärtchen. Es fällt der ältesten Spielerin zu (sorry für dieses Adjektiv, der Verf.). Nun kann es losgehen mit dem reizvollen Intrigieren und Taktieren.    

„Louis XIV“ gliedert sich in vier Phasen, Nachschub, Einfluss, Auswertung und Missionen, die in exakt vier Runden durchgespielt werden. Das Spielende erlaubt durch Umtausch „überflüssiger Materialien“ (so steht es in der Regel, Anm. des Verf.) sowie Aufdecken der geheim gesammelten Wappen einen Showdown, der in so mancher Runde für lange Gesichter sorgt. Gewinner ist, wer die meisten Siegpunkte sein Eigen nennt. Dabei bringen die offenen Missionskarten je fünf Siegpunkte, jedes Wappen einen, die Mehrheiten in den einzelnen Wappenbildern je einen weiteren Siegpunkt. Dazu kommen noch diverse Extrapunkte als Lohn für die ein- bis zweistündige Legetaktik.

Die erste Phase, der Nachschub (klanglich vielleicht unglücklich gewählt, Anm. d. Verf.), bringt nicht nur lebenswichtige Louisdors für alle Spielerinnen, ist also in schönen Sinn des Wortes ein Versorgungsabschnitt, sondern er ermöglicht bisweilen auch das Erfüllen von offen ausliegenden Missionen (siehe unten.) Wer hier reichlich vorgesorgt hat, wird die kommenden Spielabschnitte leichter bewältigen. Zuletzt erhält jede Spielerin fünf neue Einflusskarten auf die Hand, denen in der nächsten Spielphase eminente Bedeutung zukommt.

Die Einflussphase stellt das Herzstück dieses Spiels dar. Hier wird der Grundstein für ein erfolgreiches Taktieren gelegt, hier wird von allen Beteiligten versucht, die Mätressen, Minister und Generäle unter eigene Kontrolle zu bringen. Doch keine Angst, all dies geschieht in höchst abstraktem Sinn, ganz dem Kreativstil Rüdiger Dorns entsprechend. Dabei werden die Einflusssteine der Spielerinnen reihum in mehreren Durchgängen auf eine der Persönlichkeiten platziert, oder, falls notwendig, aus dem allgemeinen Vorrat zurückgekauft. Ein ungewohnter Vorgang, der durch Ausspielen von Missionskarten gesteuert wird, und so lange dauert, bis jede Spielerin nur mehr eine ihrer Handkarten (d.h. Missionen) übrig hat. Dabei gibt es in Anzahl und Platzierungsart strenge Einschränkungen, die es den Mitspielerinnen ermöglichen, immer wieder für überraschende Spielzüge zu sorgen. Ziel ist es, auf den einzelnen Personenkarten Mehrheiten zu finden und dadurch in der dritten Spielphase billig zu Missionschips, Intrigenkarten oder dergleichen zu kommen.

Niemand kann überall dieses Ziel verwirklichen, was sofort deutlich wird, wenn in der Auswertungsphase reihum alle Personentafeln von 1 bis 12 abgerechnet werden. Der beste Gast bei jeder der zwölf Adeligen (d.h. die Besitzerin der Mehrheit auf den Personenkarten), bekommt einen entsprechenden sechseckigen Missionschip (Krone, Schriftrolle, Ring, Zepter oder Helm) gratis, gibt dafür jedoch seine Einflusssteine auf dieser Tafel in einen allgemeinen Vorrat ab. Bei einigen Tafeln gehen alle anderen leer aus, bei manchen dagegen kann noch um wertvolle Louisdor ein Missionschip nachgekauft werden. Andere Personentafeln wieder werden überhaupt nur gewertet, wenn mindestens zwei Missionschips einer Farbe abgelegt wurden. Intrigenkarten, die unerwartet und damit umso wirkungsvoller zum Einsatz kommen, sowie die Spielfigur „Louis XIV“, die Extra-Missionschips garantiert, machen die Auswertungsphase komplex und stimmungsvoll. Zudem werden erfolgreiche Besuche bei den „Größen Frankreichs“ dadurch honoriert, dass die entsprechende Personentafel umgedreht wird und damit in der Folgerunde ihr neues Gesicht zeigt. Den Abschluss bildet die Missionsphase, in der reihum jede Spielerin ihre Chips gegen offen auszulegende Missionskarten tauscht. Die oben beschriebene, abschließende Wertung rundet diesen fast mathematisch anmutenden Spielfluss gebührend ab. 

Wie spielt es sich im Frankreich des 18. Jahrhunderts? Zunächst werden Sie versuchen müssen, eine erste Orientierung zu finden und Pläne zu entwickeln. Das klingt leichter als es tatsächlich ist, wie ich bereits bei meiner Premiere im Reiche Louis’ XIV feststellen musste. Trotz der präzise formulierten Regel sind Fehlplanungen im Spielaufbau fast unvermeidlich. Die Gewichtigkeit der Missionskarten kann nur erahnt werden. Das Timing beim Ablegen und bei der Auswahl der Missionen verlangt ebenfalls ziemliches Fingerspitzengefühl. Hier gilt die alte Weisheit, dass erst Erfahrung klug macht. Daher erschließt sich Louis XIV nicht vom Beginn weg. Je nachdem, wie viele Spielerinnen um den Tisch sitzen, werden die Verstrickungen um Mehrheiten immer unüberschaubarer. Leider werden auch Längen im Spielfluss spürbar, wenn es dem einen oder anderen einfallen sollte, alle Möglichkeiten im Kopf abwägen zu wollen. Wobei ich gleich betonen möchte, dass dies auf Grund des Nachziehens von Missionskarten ohnehin nur sehr bedingt möglich ist. Auch bei bester Strategie und Taktik können Ihnen Ihre Mitspielerinnen das Leben gehörig schwer machen. Die Einflussphase verlangt jeder Spielerin eine große Portion Respekt ab. Interaktion wird hier ganz groß geschrieben. Und das ist gut so, denn wir wollen ja letztlich miteinander spielen – und vielleicht auch ein wenig leiden. Und gibt es einen größeren Genuss, als eine Rolle zu übernehmen, mit der niemand am Tisch gerechnet hat? Wie sagte schon Platon: „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennen lernen als im Gespräch in einem Jahr“.   

Daher meine fast uneingeschränkte Empfehlung: Wenn Sie zur Sorte der ernsthaften Spielerinnen gehören, zu den „Experten“, um die im WIN Steckbrief übliche Diktion zu verwenden, dann bitte einfach zugreifen. „Louis XIV“ verdient sich allemal das „Prädikat wertvoll“. Die Grafik Franz Vohwinkels ist stimmig, das Tischlayout erfreut das Spielerauge, und der Spannungsbogen erreicht eine hoch auslaufende Endmarke. Zudem pendelt die Spielanlage ständig im Dreieck Glück-Logik-Psychologie hin und her. Kaum glauben Sie, eine ideale Steinablage auf den Tisch gezaubert zu haben, ziehen sie eine nicht ganz optimale Einflusskarte nach. Pech gehabt! Kaum spüren Sie, bei einer der zwölf ausliegenden Personenkarten Ihre Gegnerin durchschaut zu haben, werden Sie von einer unerwarteten Attacke auf eine andere, von Ihnen kontrollierte höfische Gestalt überrascht. Die Missionskarten sind sehr abwechslungsreich angelegt, die Balance zwischen Angriff und Verteidigung bleibt bis zum Ende erhalten. Auch die beidseitig markierten Personentafeln, die in der Auswertungsphase in strikter Reihenfolge abgewickelt werden, verführen zu sehr unterschiedlichen Spielstrategien. Der finale Showdown mit den gesammelten Wappen trägt ein Übriges zur Aufrechterhaltung der Spannung bei. Es kostet eben etwas, diese Hoheitszeichen zu horten, und man wird erst am Ende belohnt. Vielleicht! Wer zu früh zu viele der Wappen an sich rafft, wird wahrscheinlich zu wenige Missionen erfüllen können. C’est la vie!    

Interessant ist auch die Verlagspolitik dieser neuen „Nummer 1“ der Alea-Spiele. Ja, „Nummer 1“ ist hier durchaus auch wörtlich zu verstehen, entschied man sich doch bei Ravensburger neben einer neuen Produktionsstätte in einem tschechischen Werk gleichzeitig auch für ein mittelgroßes Schachtelformat, zwischen den beiden bisherigen Ausstattungsvarianten angesiedelt, dessen Rückenetikett eine „1“ ziert. Preislich allerdings bleibt die Verkaufspolitik nahezu unverändert. Nun, dafür wird auch wieder ein über alle Maßen zu lobendes Regelwerk mitgeliefert. Wer dies als selbstverständlich betrachtet, möge einfach so manches Regelgebräu anderer Verlage anlesen.  

Mein persönliches Fazit: Mit diesem neuen Werk aus der Hand Rüdiger Dorns eröffnet sich dem geeichten Experten eine vom ersten Moment weg spannende und anspruchsvolle Intrigenwelt am Hof des Sonnenkönigs. Die Waagschale zwischen Glück und Taktik neigt sich deutlich zugunsten des Kombinierens, wenn auch mit dem nötigen Quäntchen an Unberechenbarkeit, sodass durchaus nicht immer Tüftler und Optimierer die höfischen Schleichwege siegreich meistern. Es geht ruhiger zu als bei „Die Händler von Genua“, dem Verhandlungsglanzstück des gleichen Autors, keine Frage. Dennoch ist der Spielreiz enorm hoch, beobachten die Spieler doch mit angehaltenem Atem das Setzen der Einflusssteine ihrer Tischnachbarn. Jede kleine Verschiebung der Kräftebalance beim abwechselnden Platzieren der Steine kann zu ärgerlichsten Verlusten führen. „Louis XIV“ ist ein exzellentes Entwicklungsspiel, bei dem leider dennoch ein kleiner Wermutstropfen auf ein ungetrübtes Spielglück fällt. Auf Grund der permanenten Herausforderung an alle Spielerinnen, besonders in der Einflussphase, bleibt kaum Zeit, die in der Einleitung erwähnten Mätressen, Minister, Generäle und Günstlinge gedanklich voll wahrzunehmen. Die Technik siegt gleichsam über die Ästhetik, um es mit einem Schlagwort zu formulieren. Aber dies mag auch nur ein eher subjektives Empfinden des Rezensenten sein. Vielleicht können Sie dennoch am Ende mit launigem Triumphgefühl dem Gedanken Ludwigs XIV frönen: „L’État c’est moi“ (dt. „der Staat bin ich“).

 

LOUIS XIV 

Spieler:                 2-4

Alter:                    ab 12 Jahren

Dauer:                  75-100 Minuten

Verlag:                  Alea / Ravensburger Spieleverlag 2005

                            www.aleaspiele.de

Autor:                   Rüdiger Dorn

Graphik:                Franz Vohwinkel

Preis:                    ca. € 20

 

WIN WERTUNG

Genre:                  Entwicklungsspiel  

Zielgruppe:            Experten

Mechanismus:        Mittels Mehrheiten Missionen meistern

Strategie:               ***

Taktik:                  ******

Glück:                   **

Interaktion:            *******

Kommunikation:     **

Atmosphäre:          *****

Kommentar:

Hohes Maß an Interaktion

Ungewöhnliche Spielanlage

Taktische Herausforderung

Elegante Visualisierung

Hugo Kastner: „Louis XIV“ wird Sie zu intensiven Erlebnissen rund um den Hof des Sonnenkönigs führen. Allerdings müssen Sie in allen Phasen dieser knappen eineinhalb Stunden der permanenten Intrige im besten Sinne des Wortes mitspielen. Schon die kleinste Unaufmerksamkeit bringt kaum wettzumachende Nachteile mit sich. Welche Traditionen nun werden durch dieses Ringen um Mehrheiten fortgesetzt? Spontan fallen mir das edle Kramer/Ulrich Werk „El Grande“ und Rüdiger Dorns letztjähriger Verhandlungsmarathon „Goa“ ein.

 

Wenn Sie gerne anspruchsvolle Spiele mit dem Mechanismus Mehrheiten sammeln spielen, wird Ihnen Louis XIV gefallen

     

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at